Organon der Heilkunst: Bibel der Homöopathie?
erschienen in Globuli 2/2002
Gebildeten Patienten gab er es zu lesen, sein Organon der Heilkunst. In diesem Punkte jedenfalls werden heutige Therapeuten Samuel Hahnemann, dem Begründer der Homöopathie, eher nicht folgen. Immerhin legte er Wert auf aufgeklärte Patienten und hoffte, dadurch auch die Homöopathie zu verbreiten. Doch was ist dieses geheimnisvolle Organon, auf das sich heutige Homöopathen auch in anspruchsvollen Fachdiskussionen immer wieder beziehen? Das Organon, das in Homöopathie-Ausbildungen Pflichtlektüre ist? Eine Bibel, ein homöopathisches Glaubensbekenntnis, ein Arbeitsanweisung oder ein Denkinstrument? Und was bedeutet der seltsame Titel?
Das Wort Organon wurde einst von Aristoteles geprägt. Es bedeutet bei ihm soviel wie Logik als Werkzeug der Erkenntnis und der Wissenschaften. Sinngemäß ließe sich Titel „Organon der Heilkunst“ übersetzen: „Werkzeug zur gesetzmäßigen Erkenntnis der Heilkunst“. In die Hand gegeben ist uns demnach ein geistiges Instrument und nicht etwa ein Dogma. Nicht weniger als ein Werkzeug, mit dem wir Lebensgesetze im Bereich der Gesundheit und Heilung nachvollziehbar erkennen und therapeutisch anwenden können! So war die Homöopathie denn von Beginn an ein Kind des kritischen Hinterfragens und nicht des blinden Glaubens.



Gegen Anfang des 20. Jahrhunderts und teils schon vorher geriet das Organon selbst unter den Homöopathen vielfach in Vergessenheit. Die Homöopathie schien altmodisch gegenüber den aktuellen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Wenn schon Homöopath, wollte man modern sein und gab neuen Lehren, wie Virchows Zellularpathologie, mehr Gewicht als den alten Schriften. Leider bemerkten die Wenigsten, dass mit der Entfernung von Hahnemanns Organon auch der ganzheitliche Ansatz der Homöopathie verlassen wurde.

Carl Classen, 2002 (überarbeitet 2014)

