Was für eine Mittwinter-Zeit

Der Mittwinter dauert gerade noch an. Alte Völker sprachen von 12 heiligen Nächten, die ungefähr zwischen Wintersonnenwende oder Weihnachten und den Heiligen Drei Königen angesiedelt werden. Eine Zeit außerhalb der gewöhnlichen Zeit, einstmals auch jährlicher Lückenschluss zwischen Sonnen- und Mondkalender. Während heute jeder glaubt, Weihnachten zu kennen – oder jedenfalls das, was wir daraus machen – weist gerade der 6. Januar auf andere, ungehobene Schätze. Einerseits jene Schätze, die der Erzählung nach aus dem Morgenlande kamen. Aus dem Morgenlande, mit dem wir uns heute so schwer tun, das aber der Westen mit Spaltung und Krieg überzog, um kontrollierbare Zugänge zu billigem Erdöl zu erhalten. Aus dem Morgenlande, das uns im Gegenzug mit Geflüchteten beschenkt, die hier eher weniger willkommen sind, als jene drei weisen Könige dies bei orientalischer Gastfreundschaft vermutlich waren – dann aber mit den römischen Behörden vorsichtig sein mussten.

Was auch immer wir über das gegenwärtige Herunterfahren des öffentlichen Lebens, über den Lockdown denken. Gleich, welche Maßnahmen wir für falsch oder genau richtig, für unzureichend oder überzogen erachten, ob diese zielführend sind oder ob wir längst an unsichtbaren Nasenringen ganz woanders hingeführt werden. Diese Weihnachtszeit und auch Sylvester war stiller als sonst, und wer nicht gerade in speziellen Berufen arbeiten musste, konnte mehr Zeit für sich selbst und seine Familie haben als in anderen Jahren. Wie so viele, mussten wir einen geplanten Urlaub absagen. Die Entschleunigung des öffentlichen Lebens hat mir und meiner Frau dennoch gut getan. Sie war ein Gewinn. Heute (3. Januar) fielen uns bei einem Spaziergang richtig viele Schneemänner draußen auf und wir sahen mehr Eltern mit ihren Kindern spielen als je sonst. Nicht alle hängen vor Bildschirmen. Etwas gelassener, als manche im Frühjahr waren — wir haben wieder Zeit für uns!

Vielleicht finde ich es ein bisschen albern, keine Nachtspaziergänge mehr machen zu dürfen, während der Virus sich vermutlich längst andere Wege sucht. Oder andere Viren ihren Auftritt vorbereiten. Ernsthaftere Negativ-Effekte der Maßnahmen rede ich nicht klein, und wie immer gibt es Krisenprofiteure. Doch für harmlos hielt ich Sars-Cov2 von Beginn an nicht, auch wenn es keine spanische Grippe ist und schon gar nicht Pocken oder Pest. Und doch eine andere Kategorie als saisonale Grippe; konsequente, auf das Übertragungsgeschehen zugeschnittene Hygiene bleibt trotz der Impfungen angesagt. Harmlos ist allerdings auch nicht, wie wir als Menschheit mit uns selbst, mit der Natur und mit der Erde umgehen. Da laufen wir, blind mit sehenden Augen, in schon mittelfristig weitaus größere globale Gefahren. Das Klima und noch ziemlich viel mehr. Und ich wäre froh, wenn wir nur 10% der momentan auf Corona fokussierten Energie dauerhaft für ein friedliches Miteinander von uns Menschen untereinander und mit der Natur, mit der Erde investieren würden. So gesehen, ist es durchaus eine Chance, dass ein Virus unsere gewohnten Getriebe ins Stocken bringt und uns innehalten, vielleicht auch innewerden lässt. Ein Jahreswechsel, ohne Tiere und Natur mit Feuerwerk zu erschrecken, manches Jahr wünschte ich mir das. Dieses Jahr ging’s weitgehend in Erfüllung. Shutdown, um danach einfach weiterzumachen, business as usual wie bisher, lediglich mit weiteren Marktverschiebungen hin den Big Playern des Online-Handels, der globalen Digitalisierung bis in die Kinderzimmer und der Diktatur der Finanzwirtschaft?!: NEIN.

Stellen wir uns einmal darauf ein, dass 2021 die bequem gewordenen alten Muster nicht einfach zurückbringen kann. Nichts wird „besser“ ohne uns. Ein jeder Beginn, und auch die Entdeckung anderen Reichtums als jenem, mit dem wir den Planeten schänden und verbrauchen, liegt in uns selbst.

Gold, Weihrauch und Myrrhe stehen als Realsymbole für den ganz gewordenen, in seiner Essenz dann auch königlichen, priesterlichen und heilsam wirkenden MENSCHEN. Einige alte Kirchen, mehr noch die Ostkirchen feierten am 6. Januar außerdem, in eigenartiger Koinzidenz, die Taufe des Jesus im Jordan. In der Kirchensprache heißt dies, heute eher ein blasses Erinnerungs-Datum, Epiphanias. Wobei die Verdeutschung als Verherrlichung oder Erscheinung Gottes nicht gerade spontan erhellend ist, die biblische Erzählung von einer Stimme aus dem Himmel ebenso wenig. Die Spurensuche in damaligen Vorstellungswelten und die Umdeutungen antiker Kulte mögen interessant sein, sollen hier aber kein Gegenstand sein. Tatsächlich geht es um die Einkunft des Gotteswesens in einen seit Urzeiten vorbereiteten Menschen, um eine Vereinigung im Bewusstsein, und somit um eine wirklich neue Konstellation des Gottes im MENSCHEN. Das war mit der Geburt Jesu noch nicht in dieser Weise möglich gewesen, fand aber bei der Jordantaufe statt. Erst ab hier begann das unmittelbare Wirken des Christus in einem Menschen. In einem Menschen, der mit Worten wie „ehe denn Abraham war, BIN ICH“ nicht seine Persona sprechen ließ, sondern jenes Gottes-Ich, das der stille Untergrund eines jeden Individualbewusstseins ist, welches sonst nicht einmal denkbar wäre. Ein stiller Grund des Seins, der heute in einer größeren Anzahl bereiter Menschen aufwachen darf. Das ist so gesehen dann auch keine Sache dieser oder jener Religion, sondern eine des Menschseins und der Menschheit.

Wenn wir diesen Schatz wirklich heben und nicht 2000 Jahre zurückverlegen, dann werden wir nicht über Religionen streiten müssen. Sondern wir können die Geschenke aus dem Osten und anderen Himmelsrichtungen würdig entgegennehmen und vor allem selbst etwas schenken. Schätze sind in jedem von uns und in allen Kulturen der Erde da ja genug. Sie kommen nur selten in Geschenkpapier, vielleicht eher in recht viel Schlamm gepackt, wo wir sie herauswaschen dürfen. Oder sie zeigen sich in der Begegnung, gerade auch in nicht gleich einfachen Begegnungen mit sehr verschieden geprägten Menschen.

Zu den verbliebenen Schätzen unserer eigenen Kultur rechne ich denn auch manche Feiertage und habe gerade das Glück, in einem der drei von 16 Bundesländern zu leben, in denen der 6. Januar noch als ein solcher anerkannt ist. Für den Jahresbeginn verweise ich dann auch lieber auf unsere Potenziale und Chancen als auf irgendwas, das von außen käme. So schließe ich mit dem realistischem Optimismus von Václav Havel, den eine Freundin dieser Tage zitierte:

„Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – gleich, wie es ausgeht.“

C.

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